Die Zeitzeugen werden immer weniger. Einer von ihnen, der im vergangenen Jahr verstarb, war der Holocaustüberlebende Max Mannheimer. Über drei Jahrzehnte führte er die Mannheimer Zeitzeugengespräche, sprach mit Schülern und Eltern über die Vernichtung von Millionen von Juden und kämpfte gegen das Vergessen. 1943 kam er ins Konzentrationslager Theresienstadt und dann nach Ausschwitz. Seine Eltern, seine Geschwister und seine Frau wurden alle ermordet. Sein Bruder Edgar und er überlebten als einzige.
Victor Frankl überlebte auch den Zerstörungssturm. Der hochbegabte Arzt, der bereits ein Manuskript „Ärztliche Seelsorge“ geschrieben hatte, wurde 1942 ins Konzentrationslager deportiert. „Ja zum Leben sagen – ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“ hieß das Buch, das er nach der Befreiung aus dem KZ verfasste – ein beeindruckender Mensch, der das Streben nach dem Sinn im Leben angesichts der Barbarei des Nationalsozialismus nicht aufgab.
Mannheimers und Frankls Stimmen sind verstummt. Doch was passiert, wenn diese Stimmen die Ohren der Nachgeborenen nicht mehr erreichen? Gerade in unserer heutigen Zeit, da Flüchtlingsunterkünfte brennen, unsere Erinnerungskultur von rechts angegriffen wird und sich die Ungleichheitsideologie immer mehr in der Mitte der Gesellschaft ausbreitet, müssen wir diesen antidemokratischen Entwicklungen entschieden entgegentreten.
Die Neueintritte in den letzten Tagen in die linken Parteien zeigen deutlich, dass viele verstanden haben, dass Zuschauen und Zurücklehnen nicht die Antworten auf die Probleme unserer Zeit sind. Längst ist klar: Hass vergiftet die Seelen. Und wer etwas ändern will, muss auch die Klaviatur der Demokratie spielen.
Wie wichtig die Zeitzeugen für den politischen Wandel sein können, zeigte eindrücklich das Video von der Holocaustüberlebenden Gertrude aus Wien. Darin warnte die 89 Jährige angesichts der Bundespräsidentschaftswahl im vergangenen Jahr in Österreich, dass die gegenwärtige Stimmung sie an den „Aufstieg der Nazis in den dreißiger Jahren erinnert“. Es werde wieder versucht das „Niedrigste aus den Leuten herauszuholen – und nicht das Anständigste.“ Auch sie wurde mit 16 mit ihren Eltern und zwei jüngeren Brüdern nach Ausschwitz deportiert. Auch sie überlebte nur als einzige.
Ob es wieder passieren könnte? Kleinreden, Abwinken und Beschwichtigen sind die falschen Antworten. Erinnern, Einmischen, Gegenhalten müssen wir, damit es nie wieder geschieht. Die absolute Verantwortung dafür tragen wir – die Nachgeborenen.